Wer ein Segelschiff chartert, muss einen Führerschein haben? Nicht unbedingt! Kleinkreuzer mit 4,5 PS-Motoren kann jeder mieten. Und damit zum Beispiel die Müritz erkunden …
Die Sonne wirft ihre letzten milden Strahlen über den See, leise und mit dicht geholtem Vorsegel gurgelt der kleine Jollenkreuzer durch die trichterförmige Enge. Eine schwache Brise kräuselt das Wasser. In der Luft kreisen Fischadler. Flaches, grün bewaldetes Land steigt rechts und links aus dem See. Ich steuere mit unserer „Marina“ den Wasserwanderrastplatz von Rechlin an, taste mich langsam dem Ufer entgegen, „hier wird es flach!”, ruft meine Tochter irgendwann. Okay, denke ich, probieren wir’s. Ich lasse den Anker ins Wasser gleiten, die Mädchen stapfen mit einer Leine an Land und knoten eine Schlinge um einen Baum – dann schaukelt unser Kleinkreuzer sicher und fest in der kleinen Bucht.

Mit einem Kleinkreuzer auf der Müritz segeln – das kann jeder, der Lust darauf hat: Ein Führerschein ist für Schiffchen wie diese First 210 nicht nötig. „Man sollte ein Faible für Wasser und Wind mitbringen”, hatte uns eine Mitarbeiterin unseres Vercharterers gesagt, „und ein bisschen Sportlichkeit kann auch nicht schaden, schließlich sind diese Jollen ziemlich klein und wackelig. Aber das – gepaart mit einer gehörigen Portion Neugierde auf ein zauberhaftes Binnenrevier – ist alles.” „Und das klappt?“, hatte ich gefragt. „Man kann einfach aufsteigen und lossegeln?“ „Bisher hat es immer geklappt!”, wischte sie meine Bedenken weg.
Kabinen, Küchenzeile, Badezimmer? Fehlanzeige!

Neugierig sind wir – meine Tochter, ihre Freundin und ich. Doch zuerst einmal stellen wir fest: Das Leben auf diesem winzigen Boot namens „Marina“ ist durchaus eine kleine Herausforderung. Jeder Schritt über Deck bringt das Schiffchen zum Schaukeln. Unter Deck ist das Raumangebot – vorsichtig formuliert: begrenzt. Abgetrennte Kabinen, Küchenzeile, Badezimmer? Fehlanzeige. Den Abwasch absolviert man im Cockpit. Die vorhandene Chemietoilette muss vor jeder Benutzung umständlich hervorgeholt werden. Und ein 20-Liter-Kanister ist unsere einzige Wasserquelle. Das soll Urlaub sein?

Am nächsten Morgen tuckern wir los, angetrieben von unserem 4,5 PS-Außenbordmotor, am Stechliner Seglerhafen vorbei, an den hölzernen Stegen, den gepflegten Wiesen, dem kleinen Badestrand. Hier schaukeln überwiegend Kleinkreuzer im Müritzwasser, von den hier sonst weit verbreiteten Motor- und Hausbooten keine Spur. „Lass’ uns endlich segeln!“, drängeln meine Tochter und ihre Freundin, und treiben uns hinaus auf die Müritz, das größte und bekannteste Gewässer der Mecklenburgischen Seenplatte.
Fast kinderleicht: Segeln auf einem Kleinkreuzer
Wie war das noch?, fragen wir uns und starren auf die verschiedenen Leinen, die ordentlich aufgewickelt im Cockpit liegen. War die blaue für das Großsegel oder doch die rote? Wir probieren, erwischen die falsche, ziehen erneut – bis sich irgendwann das Großsegel der „Marina” im Wind aufbauscht und sie ganz allmählich Fahrt aufnimmt. Kurs: Röbel, das 1000 Jahre alt ist und eines der beiden touristischen Zentren der Müritz.

Wichtig zu wissen
Auf dem größten Teil der Mecklenburger Seenplatte könnt ihr Segel- und Motoryachten mit einem sogenannten „Charterschein“ fahren, ihr benötigt also keinen Bootsführerschein. Das gilt allerdings nur für Hausboote und Segel- und Motoryachten bis 15 Meter Länge, die nicht schneller als 12 Kilometer pro Stunde fahren können. Bevor ihr in See stecht, werdet ihr ausführlich vorbereitet – ihr erfahrt das Wichtigste über Schiff und Revier und macht eine kleine Probefahrt. Danach wird der Charterschein ausgestellt, mit dem ihr das gecharterte Boot für die Dauer des Charterzeitraums fahren dürft.

Im Kielwasser bleiben meine Bedenken zurück. „Marina” gleitet vorwärts, die Mädchen haben die Pinne übernommen, was „voll einfach” ist, wie sie behaupten. „Da lang geht’s!”, dirigiere ich sie, „zwischen den zwei Tonnen hindurch!” – Auch zum Thema Navigation hat man uns glücklicherweise vor Törnbeginn eine kleine Lektion erteilt. Ich vertiefe mich in den Törnatlas, studiere das Revier. Von der Binnenmüritz im Süden bis zur Kleinen Müritz im Norden sind es gerade einmal zwölf Seemeilen. Kein großes Revier.

Es gibt kleine Häfen und reichlich Platz zum Ankern
„Kann man sich hier dennoch lange herumtreiben?”, frage ich später in Röbel meinen Stegnachbarn. Man kann, klärt dieser mich auf. Neben Rechlin existieren noch drei weitere Hafenorte, dazu gibt es ein gutes Dutzend kleinere Anlegestellen und reichlich Platz zum Ankern. „Und wem das nicht reicht”, sagt der alte Weißhaarige, der jeden Sommer wochenlang auf der Müritz unterwegs ist, „kann ja noch die anderen Seen ansteuern: den Kölpinsee, den Fleesensee und den Plauer See.”

„Richtig was los aber ist nur in Waren“, erzählt er mir später am Abend. Der mit 22.000 Einwohnern größte Ort des Reviers ist so etwas wie das St. Tropez der Müritz und das Mekka aller Haus- und Motorbootfahrer. Die 245 Liegeplätze des Stadthafens sind bei unserer Ankunft dort an Tag vier der Reise bis auf wenige Ausnahmen von PS-Booten besetzt. Familien flanieren über die Promenade, Angler starren auf ihre im Wasser wippenden Schwimmer. „Hier ist es fast ein wenig wie in Italien oder Spanien“, behaupten die Mädchen.

Ideal für Kinder: Kleinkreuzer
Dass unser Schiff keine abgetrennten Kabinen, keinen Toilettenraum und keine Küchenzeile hat, macht den beiden nichts aus. Den morgendlichen Abwasch absolvieren sie im Cockpit und heute mit Blick auf Waren. Ohnehin scheint diese Schiffsgröße für Kinder geradezu ideal zu sein. Die beiden können inzwischen eigenständig Segel setzen, steuern, meist wissen sie sogar, wo es langgeht. Und das Beste ist: Auf einem Schiffchen wie die First 210 kann man in der Hochsaison für kleines Geld segeln gehen.

Bei der Durchfahrt durch den Reeckkanal in den Kölpinsee ist jedoch erstmal Schluss mit Segeln. Voraus versperrt eine Brücke die Weiterfahrt, der Mast muss gelegt werden. Wie war das noch? Die Einweisung in das Boot hatte gerade einmal zehn Minuten gedauert, ungefähr zwei davon handelten vom Legen des Mastes. Ich erinnere mich vage: Zuerst das Stahlseil am Mast lösen, dann den Kippbügel öffnen und lockerlassen. Und tatsächlich: Keine 30 Sekunden später kippt der Mast waagerecht hinunter und landet im Auffangbügel. Ein Kinderspiel, das auch die beiden Mädchen am Ende der Reise beherrschen werden.
Der Törn ist ein schaukeliges Abenteuer

Hinter der Brücke am Steg der Marina Eldenburg wird „Marina“ wieder zum Segelboot. An einem kleinen Kiosk ordern wir Lachsforelle im Brötchen. Danach parken wir routiniert unser Schiffchen im Reeckkanal, mit dem Bug nur wenige Meter vom dicht bewaldeten Ufer entfernt und mutterseelenallein. Und dann? Gehen wir im Wald spazieren und schwimmen. Beobachten Biber und Kormorane. Und werden später von den sanften Wellen in den Schlaf geschaukelt. Wer braucht da noch eine Küche und ein Badezimmer?


Infos zum Chartern
Es gibt verschiedene Anbieter, die Kleinkreuzer und andere führerscheinfreie Boote anbieten, zum Beispiel Sun Sailing Müritz und Segelcenter Müritz.
Als Fotograf und Journalist ist Michael weltweit unterwegs, um Reisegeschichten zu produzieren – auf Familienreisen immer begleitet von seiner Frau und den drei gemeinsamen Kindern. „Klar können Reisen mit Kindern auch anstrengend sein“, sagt der studierte Geograph aus Hamburg. „Aber sie bieten abseits des Alltags tolle Möglichkeiten, durch gemeinsame Erlebnisse den Familienverbund zu stärken.“