Lautlos gleitet das Kanu durch das Wasser, vorsichtig stechen die Paddel durch einen Teppich rosafarbener Blüten. Kurz danach müssen wir uns ganz tief in das Boot ducken, weil die dicken Äste umgestürzter Bäume weit über den Bach ragen. Wir sind im Bayerischen Amazonas, nur ein paar Kilometer von Passau entfernt. Es ist eine abenteuerliche Kanutour durch die Auwälder, und sie ist gleich in mehrfacher Hinsicht wertvoll: Zum einen ist sie spektakulär und mit Kindern jeden Alters möglich, zum anderen weckt sie auch bei den Eltern Abenteuerlust – und die Freude, in unberührter Natur unterwegs zu sein.

Wild, grün und gut für Kanutoren: das Flüsschen Rott
An einem kleinen Holzpodest am Ufer der Rott ging es los. Sie fließt hier ganz gemächlich in den längst nicht so ruhigen Inn. Mein Sohn Felix (15) und ich paddelten das erste Stück flussaufwärts. „Hey, das geht aber schnell“, staunte Felix, als wir einen gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten. Das Rauschen des nun immer ferneren Inns wurde schnell schwächer, dafür traten die intensiven Geräusche des Auwaldes in den Vordergrund: das Rascheln der Blätter im sanften Wind, die Vogelstimmen und das Quaken der Frösche.

Jetzt, nach gut 300 Metern, gleiten wir mit langsamen Paddelschlägen nach links in einen kleinen und schmalen Bachlauf. Ein Fisch springt aus dem Wasser und platscht zurück, Farne hängen bis auf die Wasseroberfläche, wir umschiffen dicke Wurzeln und modrige Baumskelette. Mächtige Stämme, die vor Jahrzehnten ins Wasser gestürzt sind und die längst von Schlingpflanzen und Moos erobert wurden.
Gut für die ganze Familie: Vater-Sohn-Zeit
Wir sind ganz alleine unterwegs auf einer der beiden Kanutouren, die Wolfgang Eder vom Dschungelcamp Neuhaus die „Touren durch den Bayerischen Amazonas“ nennt. Bei ihm kann man Ausflüge buchen oder einfach nur die Kanus leihen, um dann auf eigene Faust eine Landschaft zu erkunden, in der nichts von Menschenhand geschaffen ist. Felix und ich wollen hier gemeinsame Vater-Sohn-Zeit genießen, der Schnelligkeit des Alltags entfliehen und die Flusslandschaft ganz in Ruhe vom Boot aus betrachten. Die Tour ist auch deshalb ein Geheimtipp, weil sie so unspektakulär daherkommt und trotzdem ungeahnt intensiv ist.

Immer wieder halten wir an und lassen die halbdunkle, mitunter ein wenig gruslige Atmosphäre auf uns wirken. „Können wir kurz aussteigen?“, fragt Felix irgendwann. Er will wissen, wie es an Land weitergeht. Wir binden das Boot an einem Ast fest und schlagen uns ein paar Meter durch den dichten Auwald. Felix ist fasziniert, wie unwegsam das Gelände ist, wie schwierig es ist, voranzukommen. Er ist viel aufmerksamer als ich, immer wieder sieht er einen krabbelnden Käfer, einen seltsam geformten Ast oder eine türkis schillernde Libelle.
Der bayerische Amazonas: top für Kanutouren
Nach einer weiteren Stunde im urigen und schmalen Bachbett und etlichen Mückenstichen später sind wir froh, wieder auf die breite Rott zu stoßen. Im warmen Sonnenschein gleiten wir eine Viertelstunde flussaufwärts, dann geht der Fluss über in einen riesigen See.
Wir paddeln bis zum Nordufer und unter einer malerischen Holzbrücke hindurch weiter flussaufwärts auf der Rott. Später winken wir ein paar Anglern zu, staunen über gewaltige Baumriesen und über die wenigen Häuser, die hier nahe am Ufer stehen. Felix und ich stellen uns vor, wie es wäre, jeden Morgen nach dem Aufstehen den Tag mit einem Blick auf den Fluss zu beginnen. Im Frühjahr und Herbst würde dicker Nebel über das Wasser ziehen und im Sommer die Sonnenstrahlen den Morgentau trocknen.

Jetzt aber ziehen dicke Wolken in unsere Richtung, es wird Zeit zurückzurudern. Sicher, wir haben Regenjacken und -hosen dabei. Doch darauf, im Regen zu paddeln, haben wir gar keine Lust. Der Rückweg geht wesentlich schneller, außerdem haben wir nun richtig Spaß daran, auszuprobieren, wie schnell so ein Kanu sein kann. Felix ist begeistert, als wir fast über das Wasser fliegen.
Urlaub auf dem Wasser – ein Abenteuer
Am Abend schlagen wir auf einer Wiese direkt an der Rott unser Zelt für die Nacht auf, am nächsten Tag wollen wir auch noch die zweite Tour machen. Dafür schließen wir uns einer Gruppe an. Die Exkursion auf dem Kößlarner Bach umfasst eine Strecke von zwölf Kilometern – das kann schon ein bisschen anstrengend werden. „Ich habe noch nie erlebt, dass jemand nach dieser Fahrt noch ein paarhundert Meter zusätzlich paddeln wollte“, hatte Paddelprofi Eder am Vortag erzählt. Wir sind gespannt, als wir abends gemeinsam am Fluss sitzen. In der Ferne sehen wir die Lichter von Schärding, lange schauen wir über das Wasser und plaudern – über den vergangenen Tag und die dreieinhalb Stunden andauernde Tour, die morgen vor uns liegt. Doch dann treiben uns die Mücken ins Zelt.

Los geht’s am nächsten Tag an einer kleinen Brücke inmitten der Inn-Auen, in Bärnau, das gut drei Kilometer unterhalb von Bad Füssing liegt. Wir fahren durch die Wildnis, die Eder als Klein-Kanada in Niederbayern bezeichnet. Die Tour ist schön, ruhig und sogar erholsam. Am Abend werden wir noch einmal ans Ufer der Rott treten und auf den Fluss schauen. „Es hat richtig Spaß gemacht mit dir“, wird Felix sagen, mich angrinsen und dann laut überlegen: „Warum kaufen wir uns eigentlich kein eigenes Kanu?“ Gute Idee, werde ich denken, anscheinend hat diese Unternehmung die Lust geweckt, draußen in der Natur unterwegs zu sein, und vielleicht – phantasiere ich insgeheim – ist ein „Dschungel“ zum Anfassen künftig genauso interessant wie die virtuellen Welten eines PC-Spiels. Wir werden sehen!

Infos zur Kanutour
Die Kanutouren von Sport Eder dauern zwischen ein paar Stunden und mehreren Tagen und sind auch mit kleinen Kindern zu meistern (Schwimmweste nicht vergessen).
Die Firma bietet auch geführte Touren mit Schlauchbooten an und veranstaltet diverse Dschungelspiele. Wer über Nacht bleiben will, kann auf der Campingwiese neben dem Dschungelcamp sein Zelt aufschlagen oder das Wohnmobil parken (Mückenschutz nicht vergessen).
Gerhard von Kapff, Jahrgang 1964, ist Redakteur, freier Reisejournalist und Vortragsreferent. Aus der Erfahrung, dass nichts kostbarer ist, als intensiv Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, resultierte die Idee zu dem Buch „Abenteuer für Vater und Sohn – Unvergessliche Erlebnistouren in Bayern.“ Auf seinen Blogs berichtet er über seine Touren.