Also, um es gleich vorweg zu nehmen: Andalusien ist ein bisschen wunderlich. Nicht nur, dass euch an den wunderbaren Sandstränden kaum eine Menschenseele begegnet. Nein, es kann auch passieren, dass am hellichten Tag zehn, zwölf Pferde über den Weg preschen, einfach so, ganz ohne Begleitung. Ihr solltet euch ebenfalls darauf gefasst machen, dass ein ausgewachsener und wilder Stier schnaufend durch die schmalen Gassen eines Bergdorfs toben könnte. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass sich auf einmal ein stattlicher Ochse im Garten eures Feriendomizils aufbaut. Wundert euch einfach nicht, so ist das halt – in Andalusien!

Ein bisschen wunderlich: Andalusien
Ihr seht, Andalusien liegt zwar in Spanien, aber ansonsten hat der südlichste Zipfel des Landes soviel gemein mit der Costa Brava, Mallorca & Co wie euer Alltag mit dem eines Singles. Andalusien, das ist Spanien wie aus dem Bilderbuch. Da klammern sich weiße Dörfer an steile Felsen, da wellen sich endlose Felder übers Land. Da spielen alte Männer auf den Dorfplätzen Domino, wilde Stiere stehen auf sattgrünen Weiden und es reiht sich Strand an Strand an Strand an Strand…

570 Kilometer Sandstrand rahmen Andalusien ein, und während das Mittelmeer meist nur träge an Land plätschert, rauscht der Atlantik an der Westküste mitunter in gewaltigen Brechern heran. Dafür sind die Strände zwischen Gibraltar und der Grenze zu Portugal breiter und menschenleer – wie geschaffen also für unseren buddelwütigen Nachwuchs, haben wir gedacht. Wir haben uns für ein Ferienhaus nahe dem kleinen Ort Conil entschieden. Mit Meer und Strand in (Kinder-)Fußentfernung, Kuh und Ochse gegenüber auf der Wiese. Und allerlei Sehenswertem im Rücken (Spaniens älteste Stadt Cadiz beispielsweise, die britische Kronkolonie Gibraltar usw.), dass wir bei passender Gelegenheit wie zufällig aus dem Ärmel schütteln können.
Watteweiche Stände und Muscheln in XXL-Format

Doch daran war in den ersten drei Tagen gar nicht zu denken. Nicht, nachdem unsere Kinder ihre Füße erstmals in den watteweichen Sand gesetzt hatten. “Guck mal, Tim, die Muscheln!”, konnten wir gerade noch hören, bevor sie verschwanden. Und: “Her mit den Schaufeln!” Seitdem kommen sie regelmäßig vorbei, um vor unseren Füßen bergeweise Muscheln im XXL-Format abzuladen. Oder um uns zu Ballspielen zu motivieren. Ansonsten bohren wir unsere Zehen in den watteweichen Sand und backen für unser Krabbelkind Sandkuchen.

“Tja, und was ist mit uns?”, will ich am Morgen des vierten Tages von meinem Mann wissen. Eigentlich würde ich gern noch mehr anschauen als nur Sandkörner und Wellen. Ich möchte ein bißchen andalusische Lebensart schnuppern. Ich würde gerne die berühmten Weine aus Jerez kosten und die Huevos a la flamenca, die andalusische Tortilla-Variante: gebratene Eier mit Tomaten, Schinken, Bohnen, Erbsen und Paprika. “Da rennst Du bei mir offene Türen ein”, sagt mein Gegenüber. Genau in dem Moment stürmt unser Ältester herein, ein bisschen leichenblass, und stottert etwas von einem gewaltig großen Tier in unserem Garten.
Toll für Eltern und Kinder: Andalusien
In der Tat, das Tier ist groß, man kann sogar behaupten: gewaltig groß. Es ist plüschbraun, hat zwei geschwungene Hörner auf dem Kopf und handelt sich unserer Städter-Meinung nach um einen ausgewachsenen Ochsen. Die gute Nachricht: Er steht nicht direkt in unserem Garten, sondern vor dem glücklicherweise mannshohen Gartentor. So kann sich mein Mann langsam und mit zitternden Knien im Schutz der Hecke bis zum Tor vorarbeiten, um dies – mit einem schnellen Spurt – vor des Ochsen Nase zuknallen.
Wäre es schon Abend, wäre dies wahrscheinlich der richtige Moment für einen echt-andalusischen Sherry gewesen. So spülen wir unseren kleinen Schrecken mit einem zweiten Milchkaffee herunter, machen uns dann auf, die nähere Umgebung zu erkundschaften. Und finden: einen Zaun, hinter dem sich ein paar Straußen befinden. Echte, ausgewachsene Straußen auf einer Wiese mit Meerblick. Andalusien ist wirklich zum Wundern?

Strauße, Stiere, wilde Pferde
Der Leuchtturm am Cabo de Trafalgar (genau hier hat übrigens Lord Nelson bei der berühmten Seeschlacht von 1805 sein Leben verloren) ist besonders schön anzusehen, wenn sich der Abend heranpirscht, wenn die Sonne ihre tiefen Strahlen über den Atlantik wirft und langsam und rot im selbigen abtaucht. Also stapfen wir am nächsten Tag schwer beladen mit Picknick-Utensilien durch den weichen Sand. Sammeln handtellergroße Herzmuscheln. Und flüchten immer wieder vor den Wellen, die uns die Füße waschen wollen. Bis wir pünktlich zum Abendessen im Schatten der Felsen unterhalb des schlanken, weißen Trafalgar-Leuchtturmes ein Plätzchen finden, das wie geschaffen ist für unser Abendessen.

Unsere Erzählungen von dem gewaltigen Ochsen sind noch nicht ganz verstummt, da haben wir am nächsten Tag bereits wieder Grund zum Wundern – als wir mit dem Auto über die holprige Schotterpiste gen Conil tuckern und uns auf einmal zehn, zwölf feurige Pferde entgegenstürmen. Mein Mann tritt auf die Bremse, ich halte die Luft an, und die Kinder staunen mit offenen Mündern, bis sich die Gäule in Staubwolken aufgelöst haben.

Doch gut, dass Andalusien auch ganz anders sein kann. Beruhigend. Bezaubernd. Beeindruckend. Wir rauschen durch das leere Land, rechts und links breiten sich Felder aus, Schafe mähen das satte Grün, Stiere starren über Zäune. Ein alter Mann trottet neben seinem Maultier. Zu Hecken gewucherte Feigenkakteen säumen die Straße, dazwischen: Feigenbäume, Agaven, Dattelpalmen, Granatapfelbäume.
Andalusien: ein 1A-Ziel für Familien
Die nächsten Tage verbringen wir in der Nähe unseres Ferienhauses, das umgeben ist von rot-blühendem Oleander (der Ochse steht übrigens inzwischen wieder sicher eingezäunt auf seiner Weide!) und von Thymian und Oregano, das hier büschelweise wuchert. Wir wandern an den kilometerlangen und breiten Sandstrand. Kochen. Backen Sandkuchen. Spielen Ball. Bis die Zeit wieder reif ist für einen Ausflug – Ziel: Vejer de la Frontera.

Pueblo blanco, weißes Dorf. Weiß-gekalkte Häuser klammern sich an einen Hügel, ringsherum Orangenplantagen und Olivenhaine. Ein Dorf wie aus einem Reiseprospekt, mit schmalen Pflastergassen, Palmen und blumenübersähten Hinterhöfen. Zum Bummeln schön. Wäre da nicht dieser Stier…
“Läuft der jetzt wirklich frei herum?”, will mein Sohn wissen. “Im ganzen Dorf? Und da sind auch Menschen auf der Straße?” Ja, erkläre ich ihm, “hier läuft ein Stier frei herum, er tobt durch die Gassen, und er ist wahrscheinlich furchtbar wütend, weil er sicher viel lieber auf seiner grünen Weide stehen und Gras fressen würde. Und nun versuchen ganz mutige Menschen, ihn wieder einzufangen, weil das hier Sport und Spaß ist!” Meine Kinder starren ungläubig durch die stiersichere Absperrung. Und ich hoffe, dass das wütende Tier nicht irgendwann uns ins Visier nimmt.

Wunderlich, aber wunderschön: Andalusien
Am letzten Tag wandern wir noch einmal durch den weichen Sand, rennen noch einmal alle zusammen vor den atlantischen Wellen davon und sammeln Muscheln in Großformat. Und als sich irgendwann, fernab jeglicher Zivilisation, ein paar Spielgeräte aus dem Sand erheben – Klettergerüste und eine Rutsche – wundern wir uns schon nicht mehr. Man muß eben mit allem rechnen – in Andalusien.
