Nachhaltig reisen – was genau bedeutet das? Ist der Familienurlaub auf Ibiza damit tabu? Was für eine Unterkunft kann man guten Gewissens buchen? Wir von Lumao haben mit einem gesprochen, der Antworten auf diese Fragen weiß: Roland Streicher. Roland hat vor über 30 Jahren ReNatour gegründet, einen Spezialveranstalter für nachhaltiges Reisen. Im Programm finden sich auch viele Familienreisen: ein Abenteuercamp in Franken beispielsweise, ein Sportcamp in der Provence, ein zauberhaftes Eco Resort auf Gran Canaria – um nur einige zu nennen.

Nachhaltig und mit dem Flugzeug reisen – passt das zusammen?
Roland, zuerst die Frage, die vielen bei diesem Thema unter den Nägeln brennt: Sind Flugreisen tabu, wenn man nachhaltig reisen möchte? Sind Flugreisen für euch tabu?
Roland: Nein, Flugreisen sind bei uns nicht tabu. Wir sehen die Situation, in der Familien stecken, die ihren Urlaub auch mal in der Ferne verbringen möchten und dann in den Flieger steigen – ob nun aus Kosten- oder Zeitgründen oder aus Bequemlichkeit. Wir möchten eher dort, wo es Sinn macht, eine Alternative zum Flug aufzeigen. Oft ist einfach nicht bekannt, dass es einen anderen Weg gibt, das Reiseziel zu erreichen, und dass der vielleicht sogar spannender ist und auch bei Kindern gut ankommt.

Kannst du uns ein Beispiel dafür nennen?
Roland: Das Paradebeispiel ist für mich die ein Familienurlaub auf der griechischen Insel Korfu. Mit Bahn oder Auto kommt man gut nach Ancona oder Venedig, und von dort fährt die Fähre nach Korfu. Ja, das dauert deutlicher länger als die Anreise per Flugzeug, aber ich würde diese Anreise sogar noch ausdehnen und zum Beispiel zwei Tage in Venedig bleiben. Die Fährfahrt ist gerade für Kinder ein Erlebnis und sie ist heute alles andere als spartanisch. Man kann eine Kabine buchen, es gibt Restaurants, sogar einen Pool. Wer sparen möchte, bucht die Deckspassage und nimmt Schlafsack und Isomatte mit.

Noch mal zurück zum Fliegen: Viele Airlines bieten an, die durch die Reise verursachten Treibhausgase durch eine freiwillige Abgabe zu kompensieren. Sind solche Kompensationszahlungen deiner Meinung nach der richtige Weg?
Roland: Zuerst einmal gilt: Emissionen zu vermeiden ist immer besser als Emissionen zu kompensieren! Die Organisation atmosfair, bei der man durch Flüge entstandene Emissionen berechnen und kompensieren kann, spricht selbst vom „second best way“. Wer sich aber für einen Flug entscheidet und spendet, um Emissionen an anderer Stelle wieder einzusparen, macht mehr als jemand, der fliegt und nichts tut für den Klimaschutz.
Nachhaltig reisen: Was spielt dabei eine Rolle?
Kannst du uns in ein paar Stichworten sagen, was eine nachhaltige Reise ausmacht? Es geht ja nicht nur um die Anreise…
Roland: Die Anreise ist verantwortlich für rund 80 Prozent der Emissionen einer Urlaubsreise, daher ist sie einer der entscheidenden Faktoren, wenn wir über nachhaltiges Reisen sprechen. Doch auch darüber hinaus gibt es Bereiche, die eine Rolle spielen. Wenn ich beispielsweise in kleinen familiengeführten Unterkünften statt in Hotelketten wohne und esse, unterstütze ich lokale Strukturen und sorge dafür, dass möglichst viel von meinem Geld bei den Gastgeberinnen und Gastgebern ankommt. Das nennt man lokale Wertschöpfung. Ich kann auch darauf achten, woher die Lebensmittel stammen. Je regionaler, desto besser – auch wegen der kürzeren Transportwege.

Ein weiterer Punkt: In den meisten Urlaubsländern ist der Müll ein großes, ungelöstes Thema. Es geht also darum, möglichst wenig Verpackungsmüll zu verursachen und zu prüfen, ob es die Möglichkeit gibt, Müll zu trennen. Und zum Thema Mobilität: Oft ist es spannender mit dem Linienbus zu fahren, als sich einen Mietwagen zu nehmen. Billiger ist es sowieso.
Worauf kann man noch achten, um den Familienurlaub nachhaltig zu gestalten?
Roland: Eines der wichtigsten Ziele im Urlaub ist die Entspannung. Hier deute ich den Begriff „nachhaltig“ mal als „langfristig wirksam“. Damit das gelingt, ist weniger oft mehr. Also weniger Highlights abklappern, sondern Zeit mit der Familie verbringen und bewusst mal nichts tun.

Ich würde es auch als nachhaltig bezeichnen, wenn wir im Urlaub viele Erinnerungen anhäufen. Wir bieten bei ReNatour zum Beispiel in einigen Unterkünften ein naturpädagogisches Kinderprogramm an. Das ist spannend, die Kinder lernen dabei, haben Spaß und erzählen noch zu Hause von ihren Erlebnissen. Gleichzeitig haben die Eltern so die Möglichkeit, ein paar Urlaubsstunden ohne Kinder zu genießen.
Wichtig: Rücksicht gegenüber der Natur und den Menschen
Wie können Familien am Urlaubsort positive Fußspuren hinterlassen?
Roland: Indem man sich integriert und Kontakt zu Einheimischen sucht. Dann verstehen die Gastgeberinnen und Gastgeber, was wir uns als Gäste wünschen und wir verstehen die Situation vor Ort. Das sorgt für mehr Zufriedenheit und Verständnis bei allen.
Ein weiterer Punkt: Wir sollten darauf achten, die Natur vor Ort zu schützen. Damit sind wir wieder beim Müll, den wir natürlich nicht liegenlassen sollten, mehr noch: Man kann auch mal Müll aufsammeln. Es geht letztlich um Rücksicht – gegenüber der Natur und gegenüber den Menschen, denen wir am Urlaubziel begegnen.

Was hältst du von Fernreisen? Habt ihr welche im Programm? Würdest du sagen, dass Fernreisen eigentlich nicht mehr vertretbar sind?
Roland: ReNatour bietet bewusst nur Urlaub in Europa an. Ich finde, die Fernreise sollte etwas Besonderes bleiben und nicht der Regelfall. Um Neues zu entdecken, muss man doch gar nicht weit wegfliegen – Europa bietet so viel! Aber natürlich verstehe ich, wenn jemand mal einen anderen Kontinent kennenlernen möchte. Dann gilt: Je weiter man wegfliegt, desto länger sollte man bleiben!

Nachhaltig reisen – kann man sagen, dass das für Familien generell teurer ist?
Roland: Nein. Wer zum Beispiel mit dem 49-Euro-Ticket durch Deutschland reist und mit der Familie in Jugendherbergen übernachtet, muss kein großes Reisebudget haben. Auch bei ReNatour kann man günstige Reisen buchen, der durchschnittliche Reisepreis liegt bei uns bei 60 € pro Tag und Person. Man sollte einfach vorausschauend planen, dann kann man viel Geld sparen. Zum Beispiel, wenn man eine Unterkunft ohne Pool bucht. Damit tue ich dem Geldbeutel etwas Gutes und der Umwelt durch das Einsparen des Trinkwassers auch.

Zum Abschluss noch eine Frage: Kannst du uns sagen, wie die „perfekte“ nachhaltige Familienreise aussehen könnte?
Roland: Das ist natürlich Geschmacksache. Als unsere Kinder kleiner waren, waren wir manchmal mit einem Pferdewagen in den Vogesen unterwegs. Eine Art Wohnmobil aus Holz, das von einem Pferd gezogen wird. Abends kann man sich auf den Bauernhöfen durch die französische Küche schlemmen. Urlaub mit 1 PS – und das Geld landet direkt bei den Einheimischen. Wenn man die Anreise dorthin mit der Bahn plant, ist das schon ziemlich perfekt. Und was bei der trockenen Diskussion um Nachhaltiges Reisen oft vergessen wird: So ein Urlaub macht unheimlich Spaß!
